was ist traumasensibles Coaching?

Was ist traumsensibles Coaching?

Während meiner familientherapeutische Ausbildung begegnete mir zum ersten Mal der Begriff Trauma. Weil ich gemerkt habe, dass die Arbeit mit inneren Prozessen sich auch retraumatisierend auswirken kann, lernte ich von 2019-2023 noch aufbauend Somatic Experiencing. Das ist eine körperorientierte Traumatherapie nach Peter Levin, welche die Polyvagaltheorie von Steven Porges mit einbezieht. 

Inzwischen lese ich immer wieder im Internet und auf Flyern Begriffe wie“ traumasensibles Yoga“, “traumasensible Begleitung“, „traumasensible Beratung“ usw. Ist das jetzt ein Trend oder bin ich sensibler dafür geworden?

Ein Trauma bringt unser Nervensystem aus der Balance und es ist ist sicherlich sinnvoll, überall dort, wo innere Prozesse angestoßen werden, eine gewisse Traumasensibilität zu haben.

Ich möchte in diesem Artikel erörtern, was ist mit traumasensiblen Coaching auf sich hat.

Was versteht man unter Trauma?

Ein Trauma ist eine belastende Erfahrung, die ein Nervensystem überfordert. Die Belastung entsteht, weil der Mensch fliehen oder kämpfen wollen würde, es aber aus irgendeinem Grund nicht kann. Meistens erfolgt eine Erstarrungsreaktion, um irgendwie die Situation zu überleben.

In der Traumatherapie spricht man davon, dass das Nervensystem im Kampf –, Flucht – oder Erstarrungsmodus stecken bleibt.

Diese Überforderung des Nervensystems (also das Steckenbleiben in den Reaktionen) kann zu längerfristigen Symptomen führen. 

Die Erfahrung eines Traumas belastet den Menschen, überfordert das Nervensystem und führt zu vielen mentale, emotionale, psychische aber auch physischen Symptomen.

Definition von Trauma

Peter Levine, der die Trauma Verarbeitung Somatic Experiencing entwickelt hat, sagt über Trauma folgendes:

Trauma ist nicht das Erlebnis an sich, sondern das, was es macht mit dem Nervensystem. Das ist auf gewisse Weise auch eine gute Nachricht: Je nach Stabilität, Resilienz Fähigkeit, sozialem Umfeld und anderen Faktoren ist es also möglich, ein potentiell traumatisches Erlebnis als weniger traumatisch zu erleben.

Es ist z.B. nachgewiesen, dass ein Ereignis nicht traumatisch wirkt, wenn die betroffene Person sich selbst aus der Situation befreien kann, indem sie zum Beispiel flieht oder sich erfolgreich wehrt. In diesem Fall hat das Wesen seine Impulse zur Selbstverteidigung (und sei es nur die Flucht) vollendet. Ich sage absichtlich Wesen, denn diese Eigenschaft haben wir mit anderen Säugetieren gemein.

Man kann das sehr gut an kleinen Säugetieren beobachten: wenn der Feldhase erfolgreich vor dem Fuchs geflohen ist und er sich in Sicherheit befindet, wird er zittern und somit sein Nervensystem wieder regulieren. Danach ist er nicht traumatisiert. 

Das Trauma entsteht, wenn die Person/ das Säugetier weder fliehen noch kämpfen kann. Die Energie, die das Nervensystem dem Körper dafür zur Verfügung stellt, kann nicht abgebaut werden und verbleibt im Körper. Impulse der Abwehr wurden nicht vollendet  – man ist stecken geblieben im Kampf- oder Fluchtmodus.

Arten von Traumata

Traumata können vielfältig sein und reichen von Unfällen und körperlicher Gewalt bis hin zu Vernachlässigung oder Missbrauch. Jedes Trauma hat einen eigenen Einfluss auf das Nervensystem und die psychische Gesundheit einer Person.

Bei einem Trauma kann es sich um einen einmaligen Vorfall handeln oder um mehrere, auch „kleinere“ traumatische Ereignisse.

Schocktrauma

Hier ist es ein Ereignis der Auslöser des Traumas, wie zum Beispiel einen Unfall, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Folter, Erleben von Krieg, Gewalterfahrungen und Übergriffe jeglicher Art, z.B. auch durch Ärzte, Geburtshelfer u.a.

Entwicklungstrauma

Ein Entwicklungstrauma setzt sich zusammen aus vielen kleinen traumatischen Erfahrungen, welche ein Kind mit seinen Bezugspersonen macht.

Ein Entwicklungstrauma kann viele verschiedene Ursachen haben.

Es entsteht, wenn Kinder

  • im Säuglingsalter von den Eltern, insbesondere der Mutter, getrennt sind
  • nicht getröstet wurden, wenn sie weinten
  • wenn sie allein blieben mit Wut, Trauer aber auch Freude
  • beschämt, vernachlässigt oder missbraucht (körperlich und emotional) werden
  • wenn sie permanenten Stress erleben
  • psychischkranke Eltern haben, die nicht angemessen auf die Bedürfnisse und Emotionen des Kindes reagieren können
  • sie allgemein instabilen Familienverhältnissen ausgesetzt sind
  • sie getrennt waren von ihren Bezugspersonen und das als Stress erlebten 

Das kann dazu führen, dass Kinder Schwierigkeiten haben, gesunde Beziehungen einzugehen und aufzubauen. Ganz besonders häufig haben sie auch nicht gelernt, sich emotional zu regulieren, da sie ja häufig auf sich selbst angewiesen waren, wenn sie eigentlich einen Co. – regulierenden Erwachsenen gebraucht hätten. (Lies dazu gern mehr in meinem Artikel „Gelassene Erwachsene – entspannte Kinder)

Die Verbreitung von Trauma

Wenn man sich die oberen beiden Absätze anschaut, erkennt man leicht, dass Trauma weit verbreitet ist in unserer Gesellschaft. Man denke allein an Erwachsene in meinem Alter: geboren in den siebziger Jahren wurde ich direkt nach der Geburt von meiner Mutter weggenommen, damit sie sich erst mal erholen könne. Ich wurde zu einer Gruppe anderer Babys gelegt, in einen extra Raum, wo eine Krankenschwester ab und zu vorbei kam und uns zu festen Zeiten zu unseren Müttern brachten.

Ein Neugeborenes, welches im Bauch seiner Mutter gelebt hat, seine Mutter quasi inwendig kennt, einschließlich Stimme, Geruch und Geschmack, hat ja keine Ahnung davon, dass die Mutter ein paar Zimmer weiter liegt und sich ausruhen soll!
Das Baby kommt also in eine grelle, kalte und laute Welt. Das kuschelige gewohnte Heim ist verschwunden und weder zu riechen, zu hören oder zu schmecken.

Das ist eine allererste Verlusterfahrung, die die meisten Erwachsenen in Europa gemacht haben. Und sie ist traumatisch, denn das Baby hat keine Ahnung wo es ist und was mit ihm passiert. Es hat Todesangst! Und es kann weder fliehen noch sich wehren.

Wie ich oben bereits geschrieben habe, sind genau das die Voraussetzung für ein Trauma.

Ein guter Umgang mit Trauma

Ich denke, dass der erste Schritt wie immer der ist, die Situation anzunehmen, wie sie ist. Das Trauma ist (meistens) einem Kind wieder fahren, das braucht, in den Arm zu werden und nicht, zum wiederholten Male abgeschoben zu werden.

Wenn du dich in meinen obigen Absätzen erkennst und glaubst, dass du traumatisiert bist, dann solltest du sehr gut auf dich achten und liebevoll mit dir selbst umgehen. Wenn du Therapie oder Beratung suchst, dann ist es wichtig, dass du dir jemanden suchst, der empathisch ist, verständnisvoll und eine traumatherapeutische Aus – oder Weiterbildung gemacht haben, um genau zu wissen, wo die Grenzen der Beratung beziehungsweise des Coaching sind und wo Therapie beginnt.

Als erstes solltest du lernen, dein Nervensystem zu regulieren, um deine Lebensqualität zu verbessern. Mit einem regulierten Nervensystem wirst du entspannter auf akute Stresssituationen reagieren können und du wirst generell gelassener werden.

Wichtiges Ziel ist es zu erkennen, welche Reaktion von mir im Heute eigentlich zu einer Situation meiner Vergangenheit gehört und welche Reaktion wirklich in der Gegenwart anzusiedeln ist.

Du kennst es sicher: Jemand sagt etwas und du reagierst darauf sehr emotional und fragst dich selbst, was los ist mir dir. In solchen Momenten kannst du dich fragen: kenne ich das vielleicht von früher?

Wenn ich in Paarberatungen nachfrage stellen wir oft fest, dass die Art, wie ein Partner etwas sagt oder tut den andern an seine Mutter/ den Vater erinnert und es eine alte Verletzung gibt, die der Partner/ die Partnerin immer wieder „ankratzt“. Das zu erkennen ist sehr hilfreich!

Meiner Meinung nach ist es sehr wertvoll, sich seinen Geschichten hinzuwenden. Nicht um schuldig zu sprechen, sondern um zu verstehen und heilen zu können.

Was ist traumsensibles Coaching und wie unterscheidet es sich von herkömmlichen Coachings?

Ein herkömmliches Coaching ist meistens kognitiv angelegt. Du lernst zum Beispiel Strategien, wie du reagieren kannst, wie du dir Ziele setzen und sie verfolgen kannst.

Ein traumasensibler Coach berücksichtigt noch das Nervensystem und seine Fähigkeit, sich zu regulieren. Ich halte das ja für ausschlaggebend!

Wenn du Stress erlebst, Wut, Ärger, Scham oder dich unter Druck gesetzt fühlst, dann wird dein Gehirn normalerweise so reagieren, dass es den Neokortex ausschaltet. Die o.g. Trigger versetzen dein Nervensystem in den Überlebensmodus. Die zwei wichtigsten Überlebensstrategien sind   Kampf oder Flucht. Im Kampf und Fluchtmodus braucht es keine Abwägung sinnvoller Strategien! Da zählt allein die erfolgreiche Flucht oder der erfolgreiche Kampf! Das Erregungsniveau ist also sehr hoch!

Aus diesem Grunde macht unser Gehirn etwas sehr Kluges: es schalte den Kortex (die Heimat von Vernunft und gründlichem nachdenken) ab und schaltet das Reptiliengehirn ein. Im Reptiliengehirn geht es allein um das Gefühl von Sicherheit. 

Und wenn das nicht da ist, ist Denken unmöglich!

Und das ist der Grund, warum ich ein rein kognitives Coaching für nicht nachhaltig halte.

Wenn du unter Druck gerätst du und Stress erlebst, wirst du auf das Erlernte nicht zurückgreifen können. Wenn du aber in der Lage bist, dich zu regulieren dann kannst du auf die Strategie zurückgreifen, die du im Coaching gelernt hast.

Merkmale von traumasensiblen Coachings

Ein traumasensibles Coaching ist achtsam und respektvoll und zielt darauf ab, dass der Klient/die Klientin sich mit dem Coach sicher fühlen kann. Es geht es darum, Traumafolgen zu erkennen, um angemessen damit umgehen zu können. 

Im Coaching selbst arbeitet man an konkreten Zielen und nicht mit dem Trauma.

Das sind z.B. typische Coachingthemen:

  • Grenzen setzen der Nachbarin gegenüber
  • Entscheidungen treffen: „ziehe ich nach Bayern oder bleibe ich hier?“
  • Hinderungen bei Bewerbungssituationen aus dem Weg räumen
  • Vorbereitung von Konfliktgesprächen
  • berufliche Neuorientierung

Die Arbeit im Coaching beinhaltet zum Beispiel Kommunikationstechniken, Rollenspiel, Ressourcenarbeit, Stressmanagement und Konfliktlösung. Das richtet sich natürlich ganz nach den Vorlieben der Coachies und auch an der Ausbildung der Coaches!

Vorteile von traumasensiblem Coaching gegenüber herkömmlichen Coachings

Wie ich am Beispiel des Paares beschrieben habe, kann es sein, dass eine scheinbar alltägliche Situation genau deshalb so schwierig zu meistern ist, weil sie halt an alte Muster gebunden ist, welche traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen entspringen.

Ein traumsensibles Coaching die Möglichkeit, das Nervensystem zu regulieren und die Selbstregulierungsfähigkeit zu stärken.

Der größte Vorteil besteht meiner Meinung nach darin, dass der Coach/die Coaching Traumareaktionen erkennt und somit merkt, wann ein Hindernis auf dem Weg mit einem Trauma verbunden ist. Durch meine körperorientierte traumatherapeutische Ausbildung (Somatic Experiencing) bin ich dafür sensibilisiert und habe auch die nötigen Techniken, Klientinnen in diesem Moment bei der Regulierung zu unterstützen. Dadurch, dass ich viel über Trauma allgemein und auch über meine eigenen Traumata weiß, kann ich einfühlsam reagieren und bin auch nicht überfordert, sobald ein Trauma auftaucht. Das ist meiner Meinung nach der größte Vorteil.

Wenn nicht angemessen auf ein auftauchendes Trauma reagiert wird, kann die ganze Geschichte sehr leicht nach hinten losgehen und zu einer Retraumatisierung führen. Das ist mir leider selbst als Klientin in einem Coaching-Prozess passiert und war sehr unangenehm. 

Da wir auch in Beratungen und im Coaching tiefere Prozesse in Gang bringen können, kann es immer passieren, dass wir an die Grenze zum Trauma anstoßen.

Ein traumatherapeutischer Hintergrund ist also auch für eine Beratung oder ein Coaching von essenzieller Wichtigkeit, um traumatischen Stress zu vermeiden.

Fazit: das spricht für traumasensible Arbeit im Coaching

Wenn du weißt, dass bei dir Traumata vorliegen, dann ist es gut, wenn du dir bewusst nach Coaches suchst, die traumasensibel arbeiten. Egal, um welches Thema es bei dir geht:  in der traumasensiblen Arbeit wirst du Selbstregulation erlernen, allgemeine Stabilisierung erlangen und allein dadurch mit jedem Lebensthema besser klarkommen sowie mehr Klarheit und Tiefe über deine inneren Prozesse erhalten.

In meinem Podcast „Lebe leichter!“ erfährst du mehr über die Funktionsweisen des Nervensystems und wie du dich selbst regulieren kannst. 

Momentan habe ich für meine Praxis eine Warteliste, aber wenn du meinen Newsletter abonnierst, bleibst du auf dem Laufenden. Du wirst alle paar Wochen mit wertvollen Impulsen versorgt und erfährst rechtzeitig meine News. Als Dankeschön erhältst du ein Audio mit 4 effektiven Übungen zur Selbstregulierung inklusive E-Book.

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