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Tabuthema: Gewalt unter der Geburt

Der Blogparaden Sommer geht dem Ende zu. Ich möchte mich heute dem vierten Blogartikel in dieser Blogparade zu wenden.

Meine anderen drei Artikel im Blogparadensommer sind erschienen zu folgenden Themen:

Das Thema TABU-Talk: Über dieses Tabu möchte ich endlich offen reden! von Generose Sehr hatte mich ebenfalls gleich gereizt und sofort wieder abgeschreckt. Wird es mir gelingen, über ein Tabuthema zu schreiben? Über welches Tabu? In meinem Leben gibt es einige Tabus, und ich frage mich, welches davon ich teilen mag mit der Welt? Mit einem möchte ich anfangen, es erscheint scheint mir erst mal leichter zu fallen.

Ich möchte heute über Gewalt unter der Geburt schreiben. Ich habe dabei meine Geburtserfahrung im Kopf und auch die einer Klientin. Und ich weiß auch von anderen Klientinnen, dass sie Gewalt unter der Geburt erlitten haben.

Gewalt unter der Geburt

Gewalt unter der Geburt viele Gesichter. Es wird davon ausgegangen, dass 10-50 % aller Frauen Gewalt unter der Geburt erleben. Dazu zählt körperliche Gewalt wie der Kristellergriff oder unnötige Schnitte, aber auch Beschämung, Irritation oder Allein gelassen werden als psychische Gewalt.
Wie wird letzteres erfasst? Nehmen wir sie als „normal“ hin? Oder sind wir im Moment der Geburt überfordert, so dass wir sie nicht als Gewalt einordnen können? Bleibt nur ein doofes Gefühl der Verunsicherung und Verstörung zurück?

Hier möchte ich eine kleinen Ausschnitt zusammentragen, damit du ein Bild davon bekommst, was gemeint sein kann:

  • Medizinische Eingriffe oder Maßnahmen, die ohne Einverständnis vorgenommen werden (außer in Notfällen)
  • medizinische Eingriffe, die nicht vorgenommen werden, obwohl sie notwendig wären
  • Maßnahmen, zu denen die Schwangere überredet wird gegen ihren Willen
  • unsachgemäße / gewaltvolle medizinische Behandlung
  • psychische Gewalt wie allein gelassen werden, herablassende Äußerungen, entwürdigen u.a.
  • Trennung vom Kind ohne medizinische Gründe
  • Androhung Kaiserschnitt/ Sedierung
  • Maßnahmen ohne Aufklärung
  • Alternativen verschweigen
  • keine oder falsche Aufklärung über Risiken….

Quelle: https://www.gerechte-geburt.de/wissen/gewalt-in-der-geburtshilfe/

Die Liste ist noch länger und detaillierter auf den Webseiten von Roses Revolution, dem Verein „Trauma Geburt e.V.“ sowie gerechte-geburt.de

Auswirkungen auf die Familie

Gewalt in der Geburt hat weitreichende Auswirkungen: zu allererst ist natürlich die Gebärende betroffen. Sie fühlt sich vielleicht falsch, nicht fähig oder einfach nur komisch, ohne es benennen zu können. Aber auch der Partner/ die Partnerin fühlt sich häufig überfordert, hilflos und ausgeliefert. Er/ sie möchte der Mutter und dem Kind helfen und kann es nicht! Was für eine schreckliche Erfahrung, auch das kann traumatisieren!
Die Hilflosigkeit beider kann sich negativ auf die Partnerschaft auswirken, so dass es immer schwerer wird, Zugang zueinander zu finden.

Doch auch das Kind wird nicht verschont: die Stresshormone der Mutter, welche sie noch tage-, wochen- oder monatelang ausschüttet, weil sie erschöpft, geschwächt, an sich zweifelnd oder aus unerfindlichen Gründen gereizt ist, wirken auch auf das Kind. Vielleicht schreit es daher mehr als andere, schläft schlechter und kann sich nur schwer beruhigen. Wie denn auch? Ein Kind braucht ruhige und regulierte Eltern, um selbst ruhiger zu werden!

Wenn dir das alles bekannt vor kommt, dann verzweifle nicht: all das sind normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse.

Meine eigenen Erfahrungen (Triggerwarnung)

Ich möchte meine persönliche Erfahrung teilen um dir zu zeigen, dass es Worte gibt und dass es gut tut, Worte zu finden. Vielleicht tut es dir auch gut, von mir zu lesen – du bist nicht allein. Ich versuche, nicht ins Detail zu gehen.

Triggerwarnung! Überlege dir, ob du das lesen willst – insbesondere, wenn du schwanger bist!

Es sollte meine erste Geburt werden.
Vom Vater des Kindes war ich aus guten Gründen getrennt. Meine Mutter und meine Freundin, ebenfalls Mutter, wollten mich bei der Geburt unterstützen. Ich wollte die beste Geburt haben, die es geben könnte für mich und meinen kleinen Sohn. Ich habe mich ein für ein Geburtshaus im Zentrum Berlins entschieden. Es ist ein bekanntes Geburtshaus mit zwei Standorten. Es klang für mich wie die Garantie für eine gute Geburt.
Letztendlich ist ein Geburtshaus jedoch auch nur ein Ort, an dem Gewinn erwirtschaftet werden soll.
Ich möchte hier nicht die Geburt in Geburtshäusern schlecht machen, denn ich weiß, dass viele Frauen positive Erfahrungen machen. Meine war durchweg schlecht.

Die Hebamme war ständig abwesend, ließ die Tür zu meinem Zimmer offen, indem ich ausgebreitet und schreiend lag. Es gab keine Privatsphäre für mich. Wie entwürdigend!

Als die Geburt nicht voran ging (Stirnlage, verschwindende Herztöne), weigerte sie sich, mich ins Krankenhaus einliefern zu lassen: „Das schaffen wir auch so!“
Glücklicherweise bestand meine Mutter darauf. Dann wollte diese Hebamme tatsächlich, dass ich in meinem Zustand in ihren PKW steige (damit sie für den Rückweg ein Taxi nehmen braucht). Auch hier konnten sich zum Glück, meine Mutter und meine Freundin durchsetzen und auf einen Krankenwagen bestehen, der mich dann auch sofort mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren hat.

Der Krankenwagen fuhr mit Blaulicht über die Autobahn Richtung Steglitz. Im Krankenhaus angekommen, schob man mich sofort in den OP Saal. Das Entsetzen der Ärzte war deutlich. Sie nahmen mir jede Entscheidung ab: es sollte eine Vollnarkose geben: „Für eine PDA haben wir keine Zeit mehr, das Kind muss raus“.
Trotzdem musste ich noch einen Wisch unterschreiben. Ich sehe mich immer noch, wie ich da liege, mir jemand einen Zettel hinhält und ich irgendwo meinen Namen krakele. Keine Ahnung, was da stand, mein einziger Gedanke: “Gott sei Dank machen sie jetzt das Licht aus“ und schon war ich weg…

Als ich wieder aufwachte, blickte ich nach rechts. Dort saß meine Mutter mit einem Bündel im Arm. Ärmchen und Füßchen schauten heraus. Mein Sohn war da, und meine Mama war die erste, die ihm gehalten hat. Ich war so dankbar, dass sie da war!
Ich schlief wieder ein und erwachte am nächsten Morgen neben ihm. Im Krankenhaus kümmert man sich rührend um mich. Man kenne das ja schon, die schlimmsten Fälle kämen aus dem Geburtshaus. Weil es eben immer so spät ist.

Als die Rechnung des Geburtshauses kam, habe ich mit Anzeige gedroht. Daraufhin zog sie die Rechnung wieder zurück.

Dies war heilsam für mich, denn es glich einem Schuldeingeständnis.

Niemand ist allein mit diesen Erfahrungen

Ich hatte damals tatsächlich keine Ahnung, dass eine Geburt auch dramatisch verlaufen kann. Natürlich wusste ich, dass es keine ideal Geburt geben könne und doch war ich der Idee unterlegen, alles so vorzubereiten, dass es eine ideale Geburt geben würde. Ich wollte so gerne auf natürlichem Wege entbinden, dass ich nicht offen war für die Realität. Und wo findet man dann auch die Realität? Wo erfährt frau denn als Schwangere wirklich, was bei einer Geburt alles passieren kann? Und ist es denn überhaupt gut, während der Schwangerschaft Horrorgeschichten über eine Geburt zu lesen oder zu sehen? Sicher nicht! Es ist eine schmale Gradwanderung. Ich denke trotzdem, dass es wichtig ist, aufzuklären, um romantische Vorstellungen zu beenden.

Bei einer Klientin von mir wurde der Kristellergriff angewendet. Sie hatte wahnsinnig viele Schmerzen – und das über Jahre. Ihre Sexualität und somit auch ihre Partnerschaft wurden erheblich gestört.
Das Schlimmste aber ist, dass sie sich jahrelang allein gefühlt hat damit. Jahrelang hatte sie sich gewundert, warum Frauen mehr als ein Kind bekommen! Sie hatte ihre Erfahrung tatsächlich für normal gehalten.

Ich denke, dass es den meisten Frauen so geht wie meiner Klientin, denn über diese Art von Erfahrung wird einfach sehr wenig gesprochen. Ein Geburtstrauma ist ein riesiger Einschnitt in das Leben einer Frau, welche sich überwiegend um ihr Baby kümmern möchte. Die eigenen Befindlichkeiten geraten somit schnell aus dem Blickfeld.

So ging es mir jedenfalls und so ging es auch meiner Klientin. Meine Klientin hat erst nach sechs Jahren einen Artikel über den Kristellergriff gelesen und damit begriffen, dass das, was sie erlebt hat und was ihr angetan wurde, überhaupt nicht normal ist! Das Ereignis an sich ist nicht normal für eine Geburt! Normal ist aber der Schmerz und die körperliche und seelische Veränderung, die das Ereignis mit sich gebracht hat. Dies war auf der einen Seite erschreckend für sie und auf der anderen Seite auch beruhigend. Jetzt wusste sie, dass sie normal ist. Sie kam zu mir in die Therapie, um dieses Trauma aufzuarbeiten.

Irgendwann hat sie mir erzählt, dass ein Kollege von ihr Vater geworden ist und dass sie sich einfach nur freuen konnte und nicht das Bedürfnis hatte, ihre eigenen Erfahrungen mitzuteilen. Das war für sie der Punkt, an dem sie realisierte, dass sie das Trauma integriert hat in sich und dass es “okay“ ist.

Roses Day:

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Dass keine Frau mit einem Geburtstrauma alleine ist, das wird spätestens dann klar, wenn man auf den Seiten von Roses Revolution und dem Verein Trauma Geburt unterwegs ist.

Am 25.11. legen seit 2011 weltweit Frauen an den Orten, an denen sie Gewalt unter der Geburt erlebt haben, eine Rose ab. Jahrelang stand dieses Datum bei mir im Kalender, bis ich 2023 das erste Mal nach der Geburt meines Sohnes mit meiner Freundin, die mir bei der Geburt zur Seite stand, zum Geburtshaus ging und meine Rose dort an der Tür befestigte. Ich schätze, dass sie nicht lange dort hängen blieb. Für ein Foto hat es gereicht.

Mir tut es gut zu wissen, dass ich nicht allein bin damit und dass ich Frauen Mut machen kann, sich mit ihrer Erfahrung zu zeigen.

Ist es ein unbedingt ein Trauma?

Peter Levine sagt, dass Trauma nicht im Ereignis liegt sondern im Nervensystem. Ich hatte Glück, dass sich meine Freundin und meine Mutter so für mich einsetzten. Die Erfahrung hätte weitaus traumatischer werden können.
Trauma entsteht, wenn wir nicht erfolgreich fliehen oder kämpfen konnten und überwältigt wurden.
Ich hatte es „geschafft“ – ich kam da raus und mir wurde geholfen. Ich wurde dann doch noch gut versorgt.
In Bezug auf deine Geburt kannst nur du das für dich beantworten.
Kommen bei dir immer wieder Gefühle der Hilflosigkeit, Ohnmacht oder der Trauer hoch? Dann sei mitfühlend mit dir und hole dir Unterstützung!

Meine Vision: Geburtstrauma als Gesprächsthema

Es wäre wunderbar, wenn Ärztinnen und Hebammen in den vor Gesprächen mit den Schwangeren ansprechen, wie sie ein Geburtstrauma verhindern können. Wenn sie traumsensibel ausgebildet würden und sanft nachfragen, ob die Schwangere Gewalt erlebt hat. Denn Menschen, die Übergriffe erlebt haben, reagieren besonders empfindlich in Situationen, in denen sie sich hilflos und ausgeliefert fühlen. Unter der Geburt kann ein harmlos gemeintes „legen sie sich mal auf den Rücken“ ein echter Trigger sein, so dass die Geburt zum Stillstand kommen kann!

Es ist also sehr wichtig, präventiv über Gewalt und Gewalterfahrungen zu sprechen, um Gewalt und somit ein Geburtstrauma zu verhindern.

Was kannst du für dich tun, um dich vor Gewalt bei der Geburt zu schützen?

Lerne dich so gut wie möglich kennen! Gibt es etwas, wovor du Angst hast? Was ist dir wichtig?
Gibt es Trigger für dich? Was brauchst du, um dich sicher zu fühlen?

Es ist wirklich wichtig, dass du dir vorher Gedanken darüber machst, was du brauchst.
Denk mal an vergangene medizinische Eingriffe: was lief gut? Was lief schlecht? Ein Beispiel: es kann sehr wichtig sein, dass die behandelnde Person jede Berührung ankündigt. Also zum Beispiel: “ich werde jetzt mit zwei Fingern den Muttermund abtasten.“ Es ist ebenfalls wichtig, dass diese Person abwartet, bis du und dein Körper das Signal gebt, bereit zu sein!
Auch das kann man vorher besprechen, indem man den Hebammen und Ärzten mitteilt, dass sie bitte warten sollen, bis du dein okay zur Untersuchung gibst.

Hol dir Unterstützung:

Sprich mit einer vertrauten Person darüber. Und hol dir auch professionelle Hilfe von Menschen, die mit dem Thema Erfahrung haben.

Hast du deine Frau „nur“ begleitet und weißt nicht, wie du jetzt mit ihr umgehen kannst? Vielleicht wunderst du dich, warum es dich so mitnimmt?
Auch du bist betroffen und kannst dir Hilfe holen! Das Erleben von Gewalt traumatisiert auch Zeugen!

Jede Form der Therapie ist hilfreich, am besten ist natürlich Traumatherapie und meiner Meinung nach Somatic Experiencing. Dies ist eine sehr sanfte, körperorientierte, traumatherapeutische Methode, die mit somatischen Symptomen arbeitet. Das Trauma muss nicht erzählt werden.

Unterstützend ist ebenfalls sehr sinnvoll, sich als Paar traumsensible Begleitung zu suchen. Ein/e geeignete/r Therapeut*in kann euch erklären, was im Nervensystem passiert ist und wie ihr als Paar heilen und wieder in Kontakt kommen könnt.

Ich bin sehr dankbar für meine SE Ausbildung, denn damit kann ich Frauen und Paare dabei unterstützen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten – so, wie ich meine Erfahrungen verarbeitet und integriert habe! Das ist wunderbar!

Melde dich gern bei mir, wenn du die Möglichkeit hast, in meine Praxis zu kommen!

Bleib dran, nimm dich ernst!

Deine

Anke
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4 Kommentare zu „Tabuthema: Gewalt unter der Geburt“

  1. Liebe Anke, lieben Dank für deine berührenden und offenen Schilderungen zu deiner eigenen Geburt und dass du dich diesem Thema widmest. Es ist so wichtig, dass Frauen darüber VOR der Geburt Bescheid wissen und auch die Begleitung diesbezüglich geschult ist.
    Einmal mehr bin ich dankbar für meine Erfahrung. Eine Geburt, wie ich sie mir nie gewünscht habe, aber in höchstprofessioneller und liebevoller Betreuung durch die Hebammen, Ärzt:innen und Kinderkrankenschwestern. Ich bin mir sicher, dass ich genau deshalb KEIN Geburtstrauma habe.
    Danke für deine klaren Worte!!

    Alles Liebe, Generose

  2. Liebe Generose,
    vielen dank für deine Schilderung und dass du darauf hin weist, dass eine schwere Geburt nicht unbedingt traumatisierend sein muss. Ich habe einen Absatz dazu ergänzt. Es ist schön zu lesen, dass du die Erfahrung einer guten Begleitung gemacht hast! Unterstützung haben macht einen großen Unterschied!
    liebe Grüße, Anke

  3. Wow Anke,

    ich hatte auch erst an das Thema Geburt gedacht, da ich dort einige kleinere und eine größere Grenzüberschreitung erlebt habe. Ich empfinde die Geburt an sich nach wie vor als eine normale Geburt (natürlich, kein Notfall, zügig) und habe diese im Teamwork mit meinem Kind und mit Unterstützung meines Partners auch gut gemeistert. Das diese Grenzüberschreitungen dennoch etwas mit mir gemacht haben, ist mir tatsächlich erst später klar geworden. Und ich weiß, dass es viele heftigere Erfahrungen gibt. Es ist ein so wichtiges Thema und verdient Sichtbarkeit und Anerkennung! Danke dir.

  4. Liebe Elena, vielen Dank für deine Rückmeldung. Es freut mich mit dir, dass ihr drei die Geburt gut gemeistert habt! Und ja, die Grenzüberschreitungen machen etwas und es ist gut, dass du es jetzt sehen und auch ausdrücken kannst. Dazu kann ich dir nur gratulieren, denn es ist ein wichtiger Schritt!
    Ich wünsche dir alles Gute! Herzlichst, Anke

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