In Teil 1 dieses Artikels hast du bereits erfahren, was ich mit „Kontakt“ meine, wie Rechtfertigungen eben diesen Kontakt verhindern und Konflikte nicht entschärfen, sondern noch vertiefen.
Hier, in Teil 2, geht es darum, wie du aus der Rechtfertigungsschleife aussteigen und einen neuen Weg gehen kannst. Der Prozess beinhaltet eine Menge Selbtstreflektion und die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten.
Um Muster jedoch ändern zu können, ist es wichtig zu wissen, wo sie her kommen und warum man sie hat.
- 1. Warum Menschen sich rechtfertigen
- 2. Das Gegenteil von Rechtfertigungen ist die Übernahme der eigenen Verantwortung
- 3. Konstruktive Kommunikationstechniken, um Kontakt in Konfliktsituationen herzustellen
- 4. So vermeidest du Rechtfertigungen als Reaktion auf eine (vielleicht nur vermeintliche) Kritik.
- 5. Zusammenfassung
- 6. Ein schneller Weg, um Stress abzubauen und dein Nervensystem zu beruhigen
- 7. #8sammeln am 08.08.24: Von allem etwas
- 8. Meine To-want-Liste für das 1. Quartal 2024
Warum Menschen sich rechtfertigen
Sich zu rechtfertigen ist ein Versuch, das Gegenüber nachsichtig zu stimmen und die Beziehung aufrecht zu erhalten. Mein Dilemma „eigene Integrität wahren oder Beziehung halten“ wird zu Gunsten der Beziehung gelöst. In Wahrheit geht es jedoch auf Kosten der Beziehung, da keine Beziehung auf Augenhöhe mehr stattfindet. Ich gebe dem Anderen ganz viel Macht über mich, indem ich mich „unterwerfe“. Ein echter Austausch unter Erwachsenen ist nicht möglich.
5 Gründe für Rechtfertigungen
- Schutz vor negativem Feedback und Kritik
- Angst vor Ablehnung: man möchte sicherstellen, dass man akzeptiert und gemocht wird
- Wunsch nach Anerkennung und Gutheißung des eigenen Verhaltens
- Der Versuch, sich bei Zweifeln selbst zu bestätigen und sich Bestätigung zu suchen, um die Zweifel auszuräumen
- Gewohnheit und (alte) Kommunikationsmuster
Natürlich können diese Gründe je nach Person und Situation variieren. Du siehst also, das es etwas sehr menschliches ist, sich zu rechtfertigen!
Neben den Gründen im Hier und Heute gibt es häufig eine Ursache im Dort und Damals:
4 Ursachen
Indem man sich rechtfertigt, möchte man im Grunde genommen eins erreichen: gesehen werden als „unschuldig“. Man fühlt sich schuldig (auch, wenn die Kritik an der Handlung gar keine Schuldzuweisung ist) und möchte dieses Gefühl loswerden.
- Man hat genau das vorgelebt bekommen von seinen Eltern (Schuldabwehr durch Rechtfertigungen)
- Alte Glaubenssätze wie „ich muss perfekt sein“, „ich muss alles richtig machen“, „ich muss alles unter Kontrolle haben, sonst passiert etwas schlimmes“, „ich bin nicht gut genug/ nicht richtig“
- Man hat emotionale, körperliche oder/ und sexuelle Übergriffe erlebt sowie die damit verbundenen Gefühle von Schuld und Scham. Man wurde damals schuldig gemacht und beschämt. Diese Gefühle sind so übermächtig, dass man es auch heute kaum aushält, nur in die Nähe von Situationen zu kommen, die ein Schuld- oder Schamgefühl auslösen könnten. Man verteidigt sich quasi schon mal „zur Sicherheit“.
- Jemand wurde häufig für schuldig erklärt von seinen Bezugspersonen. Dazu gehören Sätze wie:
- „Und was hast du gemacht? Sicher hatte der Lehrer einen Grund, dich zu bestrafen“.
- „Wenn du nicht artig bist, bin ich ganz traurig.“
- „Du willst doch nicht, dass die Tante wegen dir nicht mehr zu Besuch kommt.“
- „Ich muss dich bestrafen, weil du xy gemacht hast. Das tut mir selbst weh.“
Wenn du so etwas gehört hast von deinen Eltern, dann lass dir jetzt von mir gesagt sein:
NEIN!
Eltern und Lehrer sind erwachsen und entscheiden selbst, wie sie reagieren! Ein Kind hat NIEMALS die Verantwortung für das Verhalten von Erwachsenen. Lies auch gern meinen Artikel über Verantwortung in Beziehungen und wie falsche Machtverteilung sich auf Kinder auswirkt.
Das Gegenteil von Rechtfertigungen ist die Übernahme der eigenen Verantwortung
Einer Kritik – gerechtfertigt oder nicht – den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist eigentlich recht einfach: Steh zu dem, was du gesagt, getan oder unterlassen hast.
Es reicht zu sagen
- „Stimmt, das war wirklich blöd von mir. Kann ich es wieder gut machen?“
- „Ach, das ist mir gar nicht aufgefallen. Das tut mir leid.“
- „So kam das also bei dir an. Ich wollte dich nicht damit verletzen, verzeih mir bitte.“
- „Nein, das stimmt nicht, das habe ich nicht gemacht.“
Und Punkt.
Brauchst du Verständnis?
Wenn du dann unbedingt deine Argumente und Gründe darlegen möchtest (ich weiß, wie schwer es ist, eine Situation ohne „Absolution“ auszuhalten 😉 ) dann gibt es natürlich auch dafür einen Weg.
Es ist jedoch nicht der Weg des Kampfes und Argumentierens, sondern der Weg des Dialoges.
- Warte ab und schau, ob es bei deinem Gegenüber angekommen ist, dass du Verantwortung übernommen hast. Der Kampf ist vorbei. Du siehst es daran, dass sich seine/ihre Haltung weicher wird, die Augen offener werden, ein Lächeln kommt, die Gesichtszüge sich entspannen. Evtl. kommt ein Seufzer oder tiefer Atemzug.
- Hat dein Gesprächspartner nicht realisiert, dass der Kampf vorbei ist und beginnt von vorn zu argumentieren, dann atme tief durch und wiederhole dich ganz ruhig „Ja, ich weiß, das war blöd. Es tut mir leid.“ Oder „Ich habe damit wirklich nichts zu tun.“
- Bemerkst du o.g. Entspannung, dann kannst du nachfragen: „Ich möchte dir gern sagen, wie es mir mit der Sache geht. Magst du das hören?“
- Respektiere ein Nein! In dem Falle: „Bitte sag mir Bescheid, wenn du es hören kannst. Es ist mir wichtig, dir das mitzuteilen.“
- Kommt ein „Ja“ (ist meistens der Fall), dann bist du jetzt dran.
Durch das Abwarten erreichst du, dass dein Gesprächspartner sich beruhigt, aus dem Kampfmodus aussteigt und den Kortex wieder einschalten kann. Um beim Bild unseres Hauses zu bleiben: Du holst ihn/ sie im Keller ab und ihr geht gemeinsam ins Erdgeschoss. Dort ist Verbindung möglich und dort könnt ihr in Kontakt kommen.
Ich bin sicher, dass du damit mehr Eindruck machst als durch eine Litanei Gründe und Argumente, für die dein Gegenüber gar nicht offen ist (lies hierzu noch einmal Teil 1, wie Gehirn und Nervensystem funktionieren).
Konstruktive Kommunikationstechniken, um Kontakt in Konfliktsituationen herzustellen
Mit Jesper Juul habe ich endlich Wege gefunden, wie ich meine eigenen Rechtfertigungen stoppen kann. Denn wie ich es eingangs ja bereits erwähnt habe: ich bin die Queen auf Rechtfertigung! Ich weiß wirklich, wovon ich rede.
Ich z.B. hatte viele Gerichtsverfahren mit dem Vater meines Sohnes. Damals habe ich mich permanent für alltägliche Dinge gerechtfertigt – einfach nur, weil sie falsch ausgelegt wurden. Das Problem war hier, dass es niemand hören wollte. Und indem ich mich wie eine Löwenmutter verteidigte, gingen bei allen die Schotten hoch: bei dem Vater, der Richterin und den beteiligten Sozialarbeiterinnen. Niemand wollte es von mir hören und indem ich mich immer vehementer verteidigte, desto dicker wurden die Mauern und desto weniger wurde ich gehört.
Es war ein langer Prozess zu lernen, meine ganzen Beweggründe nicht in diese Richtung zu kommunizieren, denn meine Position wurde dadurch dauerhaft schwächer. Ich galt als hysterisch und unbelehrbar.
Besser wurde es erst, als ich nicht mehr auf die Angriffe einging und nur noch das Nötigste so kurz wie möglich beantwortete. Ich bot keine Angriffsfläche mehr!
Denn wie Christine Ordnung schon ganz richtig zu mir meinte: „Du musst dich nicht rechtfertigen – dein Recht ist schon fertig!“
Jesper Juul prägte den Begriff der Persönlichen Sprache und Christine war mir darin ein großes Vorbild!
Ich bin inzwischen großer Fan der persönlichen Sprache – lies gern hier mehr darüber.
Die persönliche Sprache hat mir und meinem Mann geholfen, leichter aus Konfliktsituationen auszusteigen. Wir haben gemeinsam gelernt, in Streitsituationen besser bei uns zu bleiben und uns nicht mehr nicht jedes Mal zu rechtfertigen. Seitdem können wir uns gegenseitig (meistens) den Wind aus den Segeln nehmen, einander zuhören und besser verstehen.
Ich möchte die Beispiele aus Teil 1 „Wie du mit Rechtfertigungen deine Beziehung sabotierst“ nutzen, um darzustellen, wie in den jeweiligen Konflikten Kontakt hergestellt werden könnte:
- Der junge Mann hätte mir ein paar Fragen stellen und sein Interesse zeigen können (das wäre seine Verantwortung gewesen). Ich hätte sagen können „Ich merke, dass ich dir nicht mehr folgen kann und frag mich, ob du dich eigentlich für mich interessierst?“ (Das wäre meine Verantwortung gewesen). Wie er damals gestrickt war, hätte er sich vermutlich gerechtfertigt… aber vielleicht hätte er auch die Reife besessen zu sagen „Ich rede immer so viel, wenn ich unsicher bin. Ich finde dich nämlich toll und dann bin ich so blockiert, dass mich nicht traue, Fragen zu stellen und mir auch nichts einfällt, was ich fragen könnte.“ Und dann hätte ich mich vielleicht getraut zu sagen, dass es mir ganz genauso geht, wenn ich jemanden toll finde! Und dann hätten wir vielleicht über Schwierigkeiten bei ersten Dates gesprochen und das wäre sicher nicht unser letztes Date gewesen – wir hätten nämlich echten Kontakt gehabt!
- Maik könnte zu Sarah sagen „Ja, das versteh ich, dass dich das ärgert. Tut mir leid, dass ich den Geschirrspüler noch nicht ausgeräumt habe“. Er hätte damit Verantwortung für sein Nicht-Handeln übernommen und Sarah hätte sich zwar darüber geärgert, müsste sich aber nicht dagegen wehren, falsch mit ihrem Ärger zu sein. Der Ärger würde angenommen werden von beiden Seiten, was den Wind aus den Segeln nehmen würde.Wenn ich das schreibe spüre ich förmlich, wie die Situation sich beruhigt.
- Die Mutter könnte freundlich zu ihrem Kind sagen „Ja, das ist jetzt blöd für dich, dass ich dir das nicht erlaube.“ Und einen Punkt setzen.
Das würde die gesamte Situation entlasten. Die Mutter muss nichts erklären und das Kind muss nicht Verständnis haben für die Entscheidung der Mutter sondern darf sich ärgern. (Ein Kind, welches ständig Verständnis für die Mutter haben muss, wird entweder überverantwortlich oder genau das Gegenteil davon).
Eine Mutter jedoch, die permanent Verständnis für sich von ihrem Kind verlangt, dreht die Rollen um: das Kind wird zur Erwachsenen und die Mutter zum Kind. Umgekehrt ist es richtig: Das Kind braucht Verständnis für seine Wut. Die Mutter muss mit ihrer Enttäuschung oder dem Gefühl des Abgelehnt-seins selbst klar kommen. Oder sich Hilfe holen. Sie ist ja erwachsen (wenn sie erwachsen genug ist.)
So vermeidest du Rechtfertigungen als Reaktion auf eine (vielleicht nur vermeintliche) Kritik.
5 Schritte, sich nicht zu rechtfertigen
- Nimm dir Zeit für deine Reaktion – was will auftauchen?
- Nimm dich selbst wahr: was spürst du? Enge? Tränen? Wut? Taubheit?
- Frag dich, welches Gefühl bei dir gerade vorherrscht. Fühlst du dich wertlos, unzulänglich, ärgerlich, verletzt?
- Akzeptiere das, was auftaucht, umarme dein Gefühl, nimm es an, wehre es nicht ab.
- Teile deine Gefühle von Punkt 3 deinem Gegenüber mit
Wenn du dich mit deinen Gefühlen annehmen kannst, wirst du dich besser zu deinem Gegenüber abgrenzen können. Vielleicht kannst du dich dann sogar in ihn hineinzuversetzen – du musst nicht Verständnis haben, es reicht, wenn du etwas verstehst, damit du seine Worte nicht persönlich nimmst.
Zusammenfassung
Nun habe ich ganze zwei Artikel über dieses Thema geschrieben und kann es doch eigentlich in wenigen Sätzen zusammen fassen:
- Rechtfertigungen schwächen dich und die Beziehung, sie verhindern Kontakt.
- Nimm Angriffe und Kritik nicht persönlich: oft sagen sie mehr über die andere Person aus als über dich
- Bleib besser bei dir.
- Argumentiere nicht, sondern fasse dich kurz (z.B.: „Für mich ist es anders“.)
Wenn dir etwas an der Beziehung liegt, versuche Kontakt herzustellen indem du: - die Wahrheit deines Gegenübers respektierst,
- zuhörst und nachfragst,
- persönlich bleibst und Verantwortung für dich und dein Verhalten übernimmst.
Der Wunsch, Recht zu bekommen, ist zwar sehr verständlich, steht dir aber im Wege – dein Recht ist nämlich schon fertig!
Mich interessieren deine Erfahrungen – schreib mir einen Kommentar!
Pingback: 6. Wie Du vom Schuldgefühl in die Verantwortung kommst - Anke Stadelbauer